Aus dem aktuellen Heft 61


Stefan Erhardt

 

Wir rufen Günther Koch - auf 90elf

Mit dem Internet ins Stadion

 

Es ist ja nicht so, dass es keine Alternative gäbe. Wem die glatten Stimmen der Länderradios und ihre Wunschkonzertmoderation zum Hals raus hängen, wem die Schlusskonferenz keinen Kick mehr gibt, weil andauernd irgendein Schwafelprotz mit einem total unwichtigen Tor in die möglicherweise entscheidende Spielszene reinplatzt, wer die Plappermäuler der Dudelsender und ihr  Die-Welt-ist-ein-Schönwetterbericht-Brainwashing nicht mehr ab kann, muss nicht abschalten: das Netz weist auch hier den Weg.

90elf.de hat sich mit Leib und Seele dem Fußball-Radioreport verschrieben, und aus Leib und Seele wird hier berichtet, gejubelt, bekrittelt und gebrüllt. Der Star unter den vielen jungen, unverbrauchten und talentierten Kommentatoren ist zweifellos Günther Koch – der „alte Mann“ der Fußball-Radioreportage, obwohl: wenn man ihm in seinem ungebremsten Elan begegnet, kann man das „alt“ getrost streichen.

Seit gut drei Jahren ist er nun schon bei 90elf, solo über zwei Mal 45 Minuten, und er hat, wenn man so will, endlich SEIN Format gefunden: es ist nicht nur GK, sein Mikro & ein Stadion, jetzt sind alle dabei – wenn sie denn wollen.

Und sie können: mitmachen nämlich, die Netzhörer, über Facebook Fragen stellen, die Günther Koch dann live beantwortet, „auf Facebook com slash 90elf“, und er spricht das „Slässssch!“ aus, so als wolle er einen tiefen Graben ziehen zwischen die weichgespülten Stimmchen und die neuen, jungen Radiowilden, zu denen er, der Alte, im Herzen immer noch zählt.

Auf Facebook, auf twitter, als RSS-Feed, als App – 90elf nutzt weidlich die Möglichkeiten des Web 2.0, und waren es über 22 Millionen Hörkontakte zwischen dem ersten und letzten Spieltag in der zweiten Saison 2010, verzeichnet man mittlerweile mehr als 1 Million Zugriffe auf die Streams der 1. und 2. Ligareports an einem einzigen Spieltag. Ein Erfolgsmodell, und inzwischen gibt es auf der Website nicht nur die Live-Berichte, sondern alles, was ein Fan über die Liga wissen muss. Übrigens auch zum Nachhören.

Sind damit die Tage des Hörfunks gezählt, was den Fußball angeht? Es scheint so. Verlangen nicht ohnehin die neuen Hörgewohnheiten der jüngeren Generationen, geprägt von einer deutlichen Tendenz hin zum short attention span und weg vom Langformat, etwas anderes? Social media anstelle von old school radio? Interaktion statt Passivhören? Wer sich an die zahllosen Apps auf dem Smartphone gewöhnt hat, wird kaum noch den Sendersuchlauf bedienen wollen – davon, dass für so etwas gar keine Zeit mehr bleibt, gar nicht zu reden.

Günther Koch jedenfalls nutzt die Freiheiten, die ihm 90elf bietet. Fast könnte man sagen, er ist angekommen – denn hier ist er voll in seinem Element, kommentiert vom Reporterplatz leidenschaftlich-launig wie eh und je, hält ohne Scham nach Belieben Stadionbesucher auf ihrem Weg zum WC vom Pinkeln ab, um ihre Meinung live auf Sendung zu erfragen, beantwortet geduldig alle Fragen, die ihm via Facebook gestellt werden, ohne dabei den Spielfluss aus den Augen zu verlieren.

Wann er das Mikro abgeben will? So schnell mit Sicherheit nicht – und da grinst er wie ein Junger, der zum ersten Mal ein Spiel in voller Länge kommentiert und Blut geleckt hat: „Warum soll ich aufhören, wenn’s immer noch so viel Spaß macht?“ An diesem Samstag in der Allianz-Arena macht es ihm jedenfalls sichtlich Spaß, beim Spiel des Noch-Bayer-und-bald-Bayern-Trainers den Ball übers Netz laufen zu lassen.

FRAGEN AN GÜNTHER KOCH

PASS: Ist 90elf die Zukunft der Fußballübertragung?

Günther Koch: Ja, unbedingt, mit diesen Live-Streams einzelner Spiele oder der Konferenz, ist das für den Hörer ein riesiger Vorteil, einfach ein größeres Angebot als im Vergleich zum herkömmlichen Hörfunk.  Ich glaube, dass das der Fan hören will, und nicht immer nur häppchenweise in ein paar Minuten, wie’s steht... Für mich als Reporter ist es herrlich – du musst nicht auf die Uhr schauen, du kannst reden, was und wie du willst, lachen, singen, kannst alle mit einbeziehen, die um dich herum sind, da ist keiner sicher vor mir. Das gab’s bei der ARD nicht!

PASS: Die Reporter sind jünger – sind sie auch anders?

KOCH: Qualitativ sind Unterschiede nicht zu spüren. Ja, es gibt viele nichtssagende, dünne Stimmchen, die das lieber sein ließen, dafür andere junge, die großartig sind – zum Beispiel Jochen Stutzky und Robert Hunke bei 90elf sind jetzt schon so gut, wie ich bin – wie ich JETZT bin! Was mir insgesamt fehlt, sind Stimmen, die glaubhaft sind, Stimmen bei denen man merkt, dass sie für den Fußball leben, ehrliche Stimmen...

PASS: Hättest du gerne einen Ko-Kommentator – oder eine Mitkommentatorin?

KOCH: Das würde ich mir grundsätzlich wünschen – jemanden als Kontrapunkt zu haben, das ist für den Hörer noch interessanter. Eine KommentatorIN wäre sogar noch besser – aber gerade bei einer Frau muss die Stimme absolut passen zum Fußball, die ist schwer zu finden. Denn man muss mehr haben als nur Stimme – es braucht Phantasie, Energie, Emotionalität...

PASS: Der Kommentar live im deutschen Fernsehen – eher zum Weghören?

KOCH: Der deutsche Fernsehkommentar wird immer einsilbiger und aufgesetzter und dadurch unglaubwürdiger, vor allem, weil wir keine Doppelbesetzung haben wie in anderen Länder. Für den Fernseh-Livekommentar braucht es zwei – der eine macht Tempo, der andere leitet über, ergänzt, beruhigt. Wenn das gegeben wäre, hätten die Jetzigen gar nicht die Möglichkeit so gestelzt rüberzukommen. Es gibt schon ein paar sehr gute, gerade auch bei Sky, Marco Hagemann ist einer, aber die sind eher unbekannt geblieben bisher.

PASS: Hat sich der nassforsche BeckmannKernerTon durchgesetzt?

KOCH: Das Primitiv-Kumpelhafte? Könnte sein, aber ich glaube, dass man wirklich bessere Kommentatoren fände, wenn man nur wollte... Hansi Küpper zum Beispiel ist brillant, aber er hat seine Chancen nicht bekommen.

PASS: Was war gut an dieser Saison?

KOCH: Dass Dortmund allen gezeigt hat, wie unbekümmert und frech und zauberhaft man Fußball spielen kann – mit einer neuen Art von jugendlichem, natürlichem Trainer, der fachliche Kompetenz besitzt und in der Gegenwart verhaftet ist, und da gibt es einige derzeit. Ich glaube, der alte Trainer hat sich überlebt – der alte Reporter noch nicht!

PASS: Was war schlecht an der letzten Saison?

KOCH: Diese rücksichtslose Offenheit der Trainerwechsel – was aber zumindest ehrlich war, da wusste jeder, worauf er sich einlässt; und warum soll auch der Fußball besser sein als die andere Welt, in der wir leben...? Meiner Meinung nach sollten jedoch Wechsel von Trainern während der Saison in derselben Liga verboten sein. Auch Spielerwechsel während der Winterpause sollte man radikal einschränken – pro Verein zwei Spieler. Was mir auch aufgestoßen ist: die immer größere werdende Abhängigkeit vieler Sportjournalisten von den jeweiligen Vereinen... und vor allem diese scheinheiligen sogenannten Medien-Partnerschaften.

PASS: Interessierst du dich für Frauenfußball?

KOCH: Da hab ich einen großen Wandel durchgemacht – früher war ich ein Gegner des Frauenfußballs, jetzt – wo ich Spiele gesehen, Länderspiel übertragen und gegen Frauenteams auch selbst gespielt habe, bin ich begeistert! Frauen spielen besser teilweise und vor allem mit weniger Theater als Männer. Die WM bei uns wird da die Akzeptanz weit voranbringen – der Frauenfußball wird aus dem Abseits herauskommen, da bin ich mir sicher.

Foto von Stefan Erhardt 

Weblinks:

www.90elf.de

http://guenther-koch.de


 Zurück zum aktuellen Heft
 

© Stefan Erhardt / Der tödliche Pass - 30.06.2011   - München