Vom "Wasserträger" zum "Wandervogel"

 

Von Claus Melchior

 

Manchmal zeugen Bücher Bücher. Bei der Recherche für sein Buch Als es den Bayern noch ans Leder ging sprach Autor Albrecht Breitschuh auch mit Rainer Zobel, der in den 1970ern für die Bayern gespielt hatte. Der hatte derart interessante Geschichten zu erzählen, dass daraus die nun vorliegende Biografie geworden ist.

 

Erinnert man sich heute noch an Rainer Zobel? Die Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts waren sehr erfolgreiche Jahre des deutschen Fußballs, und in die Gilde der Superstars jener Jahre gehört er sicher nicht, doch in seinen sechs Spielzeiten beim FC Bayern gewannen die Münchner immerhin dreimal die Meisterschaft und ebenso oft den Europapokal der Landesmeister, zweimal mit Zobel in der Endspielmannschaft. Als Trainer gehört er in die Reihe jener oft "Wandervögel" genannten Übungsleiter, die eine Fülle von Engagements in den verschiedensten Ländern vorweisen können.

 

Begonnen hatte Zobels Karriere – wie das damals so üblich war – beim Amateurverein seiner Heimatstadt, dem SC Uelzen 09, dann folgte der Wechsel zu einem nahe gelegenen Bundesligaverein, Hannover 96, und von dort ging es weiter zum FC Bayern. Nach München geholt hatte ihn Udo Lattek, der überhaupt in Zobels Laufbahn eine wichtige Rolle spielte, auch in den frühen Jahren als Trainer. Lattek wusste um Zobels Bedeutung für das Mannschaftsgefüge des FC Bayern. Der laufstarke Mittelfeldspieler wurde oft unterschätzt, galt nach damaligem Sprachgebrauch als "Wasserträger", eher unauffällig also, doch sein Wert offenbarte sich gerade dann, wenn er einmal fehlte und Defizite zu Tage traten.

 

Zobel fand sich im weltoffenen München der frühen 1970er gut zurecht; mehr als ungewöhnlich allerdings, dass er nicht nur durch die Szene und ihre Lokale streifte, sondern sich noch einmal auf die Schulbank setzte und im für einen Gymnasiasten fortgeschrittenen Alter sein Abitur baute. Diese "Nebentätigkeit" kostete ihn möglicherweise auch eine internationale Karriere. Helmut Schön wäre wohl bereit gewesen, ihm eine Chance in der Nationalmannschaft zu geben, doch Zobel lehnte unter Verweis auf die schulische Belastung ab. Denkbar, wenn auch wohl nicht wahrscheinlich, dass er sonst zum WM-Aufgebot 1974 gehört hätte. Kein typischer Bundesligaprofi also, vermutlich auch hinsichtlich seines Musikgeschmacks und seiner politischen Präferenzen. Während man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, die Fußballer jener Zeit hätten zwar die Haare lang getragen, sich musikalisch aber doch eher mit deutschem Schlager und deutscher Volksmusik identifiziert, war Zobel der internationalen Pop- und Rockmusik zugetan (man hätte sich gewünscht, das Lektorat des Verlags hätte bei der Wiedergabe von Musikernamen mehr Sorgfalt walten lassen: Jimmy Hendrix, Chat Baker, wirklich?). Und politisch sympathisierte er mit der SPD Willy Brandts, während sein Verein doch eher als Hort christlich-sozialer Gesinnung galt, mit Franz-Josef Strauß als Ikone.

 

Bei Latteks Nachfolger Dettmar Cramer war er nicht so gut angeschrieben; 1976 wollten ihn die Bayern nicht mehr und er ging zurück ins heimische Niedersachsen. Als es in der Bundesliga dann nicht nach Wunsch lief, hätte Manager Robert Schwan ihn gerne zurück geholt, doch Zobel hatte bei seinem neuen Verein, dem Lüneburger SK, nach der damals üblichen Reamateurisierungssperre bereits ein Spiel bestritten und sich damit "festgespielt".

 

Er glaubte, mit einem Jurastudium die Basis für die Zukunft zu legen, doch der Fußball holte ihn zurück, Trainerausbildung, einige Trainerjobs in Deutschland mit eher kurzer Verweildauer, dann 1997 der Schritt nach Ägypten, gefolgt von nahezu 20 Trainerjahren auf mehreren Kontinenten.

 

Das Buch ist keine Biografie mit dem akademischen Anspruch und Informationsgehalt von z.B. Hans Wollers Gerd-Müller-Biografie. Doch es liest sich flott und unterhaltsam, und erlaubt den einen oder anderen interessanten Blick hinter die Kulissen des Fußballgeschäfts.

 

P.S.: Ein auf Seite 84 wiedergegebenes Goldstück aus dem Zitatenschatz soll nicht unerwähnt bleiben. Vor einer Bundesligabegegnung der Saison 1971/72 zwischen den Bayern und Borussia Mönchengladbach standen sich im Stadion an der Grünwalder Straße die Frauenteams der Münchner Lokalrivalen 1860 und Bayern gegenüber. Dazu der kicker-Reporter: "Im Vorspiel kickten die Damen von Bayern und 1860. Ihre Aktionen bestätigen, daß Fußball faszinierend, aufregend und schön nur sein kann, wenn ihn Männer spielen." Hört sich, Gott sei Dank, inzwischen ziemlich aus der Zeit gefallen an. Obwohl: ein Heiko Vogel würde diese Sätze vielleicht sogar immer noch unterschreiben.

 

Albrecht Breitschuh, Zobel: Ein Glückskind des Fußballs (Hildesheim: Arete, 2020, € 18,00).


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