BRÄNDLES BALLBERICHT


  

Rossi, Tardelli e Altobelli

Die WM von 1982 in Spanien in meiner Erinnerung

 

Fabian Brändle

 

Gefragt nach den besten Weltmeisterschaften, die ich je verfolgt hatte, antworte ich, jeweils ohne zu zögern und wie aus der Pistole geschossen, mit: Spanien 1982. Diese WM bot nämlich herausragenden Sport, unvergessene euphorische Momente, grandiose Siege und tieftraurige, tragische Niederlagen.

In der noch jungen postfranquistischen Demokratie Spanien war sozusagen jedes Spiel ein Leckerbissen, es wurde fast durchgehend offensiv gespielt, und zum Schluss gewannen, nicht ohne Anlaufschwierigkeiten, die Italiener, die sich als tifosi in Spanien wohlfühlten und nicht selten zärtliche Bande mit hübschen Spanierinnen schlossen, vor allem in den Ferienorten des Südens. Italien hatte in der Vorrunde lediglich drei Unentschieden erzielt und mit Toren mehr als gegeizt. Schliesslich qualifizierte man sich auf Kosten der unglücklichen Afrikaner aus Kamerun, wo bereits Stürmerstar Roger Milla aufgetrumpft hatte.

In der Zwischenrunde schien das Schicksal der azzurri entschieden, warteten doch Titelverteidiger Argentinien (mit Jungstar Diego Maradona und mit Altstar Mario Kempes) und Topfavorit Brasilien, das in der Vorrunde gegen die Sowjetunion und gegen Schottland märchenhaft das juego bonito zelebriert hatte, defensiv aber bereits dann anfällig gewesen war. Brasiliens Mittelfeld bestand aus Regisseur Zico, dem „weissen Pele“, Socrates, dem trinkenden Kinderarzt, aus dem Kämpfer Falcao, Toninho Cerezo. Aussenverteidiger Junior war offensiv orientiert, Stürmer Eder verfügte über einen unerhört scharfen Schuss. Einzig die Goalie- und Mittelstürmerpositionen (Valdir Perez, Serginho) waren eher durchschnittlich, ja schwach besetzt, was sich rächen sollte gegen die konterstarken Italiener mit den eisenharten Verteidigern Gentile, Cabrini, Vierchowod, Scirea und Collovati.

Italien verfügte aber auch über starke offensive Akteure wie Regisseur Antognoni, Bruno Conti, Graziani, Causio und vor allem über den Torjäger und WM-Torschützenkönig (sechs Tore) Paolo Rossi von Juventus Turin, der lediglich eine halbe Chance brauchte, um zu skoren. Zico witzelte noch vor dem Spiel gegen Italien arrogant, dies sei lediglich ein Trainingsspiel, nach dem Match schlich er wie ein begossener Pudel vom Platz, denn drei Tore Rossis hatten Brasiliens Niederlage besiegelt.

Nachdem im Halbfinale Aussenseiter Polen um Lato, den schnauzbärtigen Szarmach, Smolarek (Papa von Ebbe) und vor allem um Zbigniew Boniek gebodigt worden war, wartete im Endspiel die BRD, die sich ins Finale gewürgt, gegen Algerien in der Vorrunde verloren und sich mit Österreich in der „Schande von Gijon“ gütlich arrangiert hatte.

Das Halbfinale Frankreich-BRD wurde zu einem prägenden Ereignis meiner Kindheit. Die Franzosen mit Platini, Giresse, Tigana oder mit Maxime Bossis hatten wiederholt technisch geglänzt, waren in der Verlängerung scheinbar uneinholbar mit 3-1 in Führung gegangen, ehe die körperlich und athletisch überlegenen Deutschen um Briegel und um Stielike ins Spiel zurückkamen, ausglichen und schliesslich im Elfmeterschiessen nach dramatischem Kampf triumphierten.

Der deutsche Torhüter „Toni“ Schumacher (1. FC Köln) hatte den anstürmenden Franzosen Patrick Battiston gefällt und schwer verletzt, blieb jedoch unbestraft und zeigte sich auch nach dem Spiel uneinsichtig. Im Finale von Madrid dann waren die Deutschen den Italienern in allen Belangen unterlegen. Paolo Rossi, das „Engelsgesicht“, eröffnete das Skore verdientermassen, Tardelli und Altobelli legten nach, ehe Paul Breitner sehenswert der deutsche Ehrentreffer gelang.

Italiens beliebter Staatschef, der greise Sandro Pertini, jubelte euphorisch auf der Ehrentribüne. Ganz Italien feierte seinen dritten WM-Titel nach 1934 im eigenen Land und nach 1938 in Frankreich. Meine italienischen Freunde, Kinder von „Fabrigglern“ und von „Muratori“ (Maurern), jubelten im kleinen Dorf Neu St. Johann ebenso euphorisch wie ihr politisches Oberhaupt und veranstalteten kurzerhand eine kleine Demonstration auf der Hauptstrasse mit selbstgebastelter Flagge.

Dritter wurde übrigens Polen, vor Frankreich.

 

 

 


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